Wiederholt befassen sich die deutschen Gerichte mit dem Einwand der Versicherer, dass ein Unfallgeschädigter nach einem Verkehrsunfall der Ersatz von Anwaltskosten nicht verlangen kann. Die Argumentation ist stets einfach wie auch vielfältig zu Lasten des Geschädigten gehalten:
- Unfall im Straßenverkehr einfach gelagert
- Unfallregulierung von dem Versicherer schnell durchgeführt worden
- Haftpflichtversicherer hat keine Kürzungen an den Schadenspositionen vorgenommen
- Geschädigter kennt sich mit Verkehrsunfällen aus
Die genannten Gründe und viele andere werden für die Begründung herangezogen, dass der Geschädigte einen Anwalt zur Unterstützung nach einem Unfall im Straßenverkehr nicht braucht.
In einer Entscheidung befasste sich der 6. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 29.10.2019, Az. VI ZR 45/19 – hier nachlesen) mit der Frage der Ersatzfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten bei einem Unfall.
Die Klägerin und gleichzeitig Geschädigte – ein Autovermietungsunternehmen – aus dem Unfall stritt mit der Beklagten über die Höhe des Schadensersatzes. Die Klägerin rechnete den Schaden fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens ab. Unter anderem wurden auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend gemacht. Die Beklagte sperrte sich gegen den Ausgleich der Anwaltskosten mit dem Argument, die Klägerin sei hinreichend geschäftlich gewandt, so dass sie ihre Ansprüche auch ohne Rechtsanwalt selbst hätte geltend machen können. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten seien daher nicht erforderlich gewesen.
ANWALTSKOSTEN NACH UNFALL – ERFORDERLICHKEIT GEGEBEN?
Der BGH entschied, dass sich die Geschäftsgewandtheit zunächst auf die Höhe der erforderlichen Kosten auswirken kann. Bei einfachen Fällen ist der Geschädigte gehalten sein Wissen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen. Anders ist es, wenn es sich um keinen einfach gelagerten Fall handelt. Dies war vorliegend abzulehnen. Der Schadensersatz umfasst deshalb auch den Ersatz der durch das Unfallereignis entstandenen Rechtsverfolgungskosten, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren, also die vorgerichtlichen Anwaltskosten. Der Kraftfahrthaftpflichtversicherer hat die Zahlung der Anwaltskosten demnach nicht verweigern dürfen.
EINFACH Gelagerter VERKEHRSUNFALL
Ein einfach gelagerter Fall liegt dann regelmäßig dann vor, wenn eindeutig feststeht, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer der vollständigen Ersatzpflicht nachkommen wird.
Dann wäre es nicht erforderlich, für die erstmalige Anmeldung der Schäden einen Rechtsanwalt oder Fachanwalt für Verkehrsrecht hinzuziehen. Dies wäre nur anders zu beurteilen, wenn der Geschädigte mangelnde geschäftliche Gewandtheit oder Krankheit oder Abwesenheit vorweist.
Einige Gerichte stellen sich bereits auf die zutreffende Position, dass es keine einfach gelagerten Verkehrsunfälle mehr gäbe. So auch das Amtsgericht Hamburg (Amtsgericht Hamburg-Mitte, Urteil vom 31.01.2018, Az.: 20a C 451/17 – hier nachlesen).
Das Amtsgericht führt Folgendes aus:
„Zum einen gibt es den „einfach gelagerten Verkehrsunfall“, wie ihn der BGH in der von der Beklagten zitierten Entscheidung vor gut 23 Jahren angenommen hat, heute grundsätzlich nicht mehr. Selbst wenn die Haftung dem Grunde nach mal vergleichsweise einfach erscheint ist heute die Schadensabwicklung zur Höhe in jedem Fall so vielschichtig geworden, dass die Einschaltung eines Rechtsanwalts regelmäßig erforderlich ist. Allenfalls bei Geschädigten, die ihrerseits über vergleichbare Kenntnisse verfügen wie ein Fachanwalt für Verkehrsrecht, erscheint die sofortige vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes nicht zwingend erforderlich (und damit nicht erstattungsfähig). „
Kurzgesagt gibt es heutzutage keinen Unfallschaden mehr, bei dem der Versicherer vollumfänglich, ohne Kürzungen reguliert. Dabei bedienen sich die Versicherer stets der Argumentation selbst erwirkter Urteile kleiner Amtsgerichte, die regelmäßig entweder nur die Rechtsaufassung des eigenen Gerichtsbezirks wiedergeben oder nicht die herrschende Rechtsansicht abbilden.
Somit ist ein einfach gelagerter Fall abzulehnen, wo bereits fraglich ist, ob der Versicherer oder der Schädiger alle Positionen ohne Beanstandung regulieren wird. Als Maßstab hierfür ist die Sicht des Geschädigten relevant zum Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts.
Die Abwicklung eines Unfallereignisses, an dem bereits zwei Fahrzeuge beteiligt waren, ist auch mit alleinigem Blick auf die Schadenshöhe schon regelmäßig kein einfach gelagerter Fall.
BEMESSUNG DER Anwaltskosten
Die Kosten des Rechtsanwalts oder eines Fachanwalts für Verkehrsrecht bemessen sich nach dem regulierten Gesamtbetrag. Dieser setzt sich häufig aus den folgenden Positionen zusammen:
- fiktive Reparaturkosten / tatsächlich angefallene Reparaturkosten
- Wertminderung (sog. merkantiler Minderwert)
- Sachverständigengutachterkosten
- Auslagenpauschale
- angefallene Mietwagenkosten / Nutzungsausfallentschädigung
- viele andere
Aus der Gesamtsumme errechnet sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz das Honorar des Rechtsanwalts.
Sollten Sie in einen Verkehrsunfall verwickelt worden sein, stehen wir Ihnen unterstützend zur Seite. Unser erfahrener Fachanwalt für Verkehrsrecht am Standort in Hamburg unterstützt Sie gern auch bundesweit.